Thema: Kann man Gefühle lernen?

Deutsches Alexithymie Forum > Betroffene und Angehörige

Kann man Gefühle lernen?
24.08.2012 von Eurofighter

Kann man Gefühle lernen?
24.08.2012 von Eurofighter

Hallo,

ich bin neu hier in diesem Forum.

Wie andere hier, kann ich ebenfalls von einer schweren Leidensgeschichte erzählen.
Seit 4 Jahren ständig irgendwelche körperliche Schmerzen und damit ständig verbundene Arzt- und Krankenhausbesuche mit unzähligen Untersuchungen.
Irgendwann kam dann meine Hausärztin auf die Idee: "Du hast jetzt alle erdenklichen medizinischen Untersuchungen hinter dir. Vielleicht haben deine ständigen Schmerzen psychische Ursachen?"
Los ging es zu 2 ambulanten Psychologen. Das war ein totaler Reinfall. Die konnten mich überhaupt nicht verstehen bzw. die Kommunikation war mehr als schwierig. "Was hatten Sie dabei gefühlt?", war eine der Standardfragen. Nach ewigem Überlegen wie ich meine Gefühle ausdrücken sollte und völlig überforderten Therapeuten habe ich es 2 Jahre mit Schmerzen ohne Hilfe ausgehalten. Irgendwann war es dann so schlimm, dass ich freiwillig in eine Psychosomatische Klinik gegangen bin - mit mehr Erfolg.
Die dort behandelte Therapeutin hat mein Problem erkannt, dass ich offensichtlich mit anderen Menschen überhaupt nicht zurechtkomme bzw. die Kommunikation sehr schwierig ist.
Ergebnis: Ich spreche eine bestimmte Sprache nicht - die Sprache der Gefühle.
Hinzu kam, das ich mit den Therapiemethoden wie Kunst, Entspannungsmethoden und Physiotherapie nicht zurechtkam bzw. total unterfordert war.
Von den dort angebotenen Therapiemethoden freigestellt, widmete ich mich meinem Lieblingshobby: Mathematik!
Nun nicht irgendeine Mathematik. Es sei angemerkt, dass ich Studentin der Elektrotechnik bin und ich mich für jegliche Art von Fahrzeugen und Roboter beschäftige, insbesondere mit Flugzeugen.
Da ich mit den dort behandelten Therapiekonzepte nichts anfangen konnte, wurde ich wieder entlassen mit dem Ratschlag auf weitere stationäre bzw. ambulante Weiterbehandlung.
Also suchte ich erneut einen Therapeuten auf.
Das war einer der merkwürdigsten Arztbesuche meines Lebens.
Er konnte mich in nur 30 Minuten verstehen und ich musste zwei Tests machen.
Heraus kam: Schwere Alexithymie mit 184 Punkten und mathematische Hochbegabung!
Die Recherche fing an und ich stieß auf dieses Forum.
Äußert sich das Alexithymie-Syndrom bei jedem Menschen gleich?
Ich zum Beispiel kann keine Gefühle spüren bzw. wenn, dann habe ich stattdessen körperliche Schmerzen.
Ich kann mich mit anderen Menschen unterhalten, aber wenn es um Gefühle geht bin ich mehr als überfordert bzw. falle in eine Art "Schwebezustand" als ob sich mein Körper mit einem Schutzwall umgibt.
Auch versuche ich ständig an Hand der Gestik und Mimik anderer Menschen zu analysieren, was sie gerade fühlen bzw. warum sie sich in bestimmten Situationen entsprechend ihrer Körpersprache verhalten.
Auch kann ich mich jeglicher Art von Fantasie und bildlichen Vorstellungen nichts anfangen. Es ist für einen normalen Menschen unvorstellbar, aber ich kann kein Buch lesen und mich in die Menschen hineinversetzen. Ich kann zwar die Handlung des Buches auf Sachebene beschreiben, aber mittlerweile habe ich das Interesse an jeglichen Fantasiebüchern verloren, seien es Krimis, Romane, etc. An Technikzeitschriften und Sachbüchern kann ich mich jedoch begeistern. Von meinen Abwägungen und meinem ständigen Überlegen, was es für einen Sinn hat Fernsehen zu schauen, will ich nicht näher darauf eingehen.......

Im Moment stehe ich in einer Phase, wo ich mir sehr viele Gedanken um mich selber mache.
Ich habe es erst vor einer Woche durch Gutachten erfahren und wollte um Rat und Tipps bitten.
Wer schon länger damit lebt, kann vielleicht meine Fragen beantworten.

- Wie kann ich selber mit Gefühlen umgehen? Wie äußern sich die Gefühle in meinem Körper? Wie kann ich lernen die Schmerzen Gefühlen zuzuordnen? Gibt es dafür eine Methode?
Offensichtlich ist es so, dass ich bloß durch meine Schmerzen Gefühle erlebe. Leider ist es sehr schwierig zu verstehen, welcher Schmerz welches Gefühl ausdrückt.
- Kann man Gefühle von neu lernen, dass man irgendwann wieder wie andere Menschen fühlt?´
- Wie kann man am Besten mit anderen Menschen auf Gefühlsebene kommunizieren ohne, dass man je nach Situation körperlich überfordert ist?


Ich freue mich über jeden Beitrag. :-)

Re: Kann man Gefühle lernen?
25.08.2012 von Anonym

Hallo,

[quote:8y0hjdt0]Äußert sich das Alexithymie-Syndrom bei jedem Menschen gleich?[/quote:8y0hjdt0]
Nein.

[quote:8y0hjdt0]Ich zum Beispiel kann keine Gefühle spüren bzw. wenn, dann habe ich stattdessen körperliche Schmerzen.[/quote:8y0hjdt0]
Zu sagen, gar keine Gefühle zu spüren, ist mir zu radikal. Einige Gefühle sagen mir gar nichts, andere Gefühle sind für mich scheinbar anders, als für Andere. Evtl. gab es einige leichte Fälle, aber grundsätzlich setze ich Gefühle nicht in körperliche Schmerzen um.

[quote:8y0hjdt0]Ich kann mich mit anderen Menschen unterhalten, aber wenn es um Gefühle geht bin ich mehr als überfordert bzw. falle in eine Art "Schwebezustand" als ob sich mein Körper mit einem Schutzwall umgibt.[/quote:8y0hjdt0]
Gespräche über meine Gefühle fange ich von mir aus nicht an. Oberflächliche Unterhaltungen über Gefühle anderer sind kein großes Problem. Tiefere Gespräche sind anstrengend und gehen leicht schief. Wenn jemand mit mir tiefer über meine Gefühle reden will, bin ich sofort in Alarmstimmung oder ganz in Abwehrhaltung.

[quote:8y0hjdt0]Auch versuche ich ständig an Hand der Gestik und Mimik anderer Menschen zu analysieren, was sie gerade fühlen bzw. warum sie sich in bestimmten Situationen entsprechend ihrer Körpersprache verhalten.[/quote:8y0hjdt0]
Ich müsste mir eine solche Analyse ganz bewusst vornehmen. Deutliche Gestik und Mimik nehme ich zwar irgendwie wahr, aber normal geht das einfach an mir vorbei. Ich kann zum Beispiel nicht sagen, ob ich mal erkannt habe, dass jemand anfing sich zu ärgern.

[quote:8y0hjdt0]Mittlerweile habe ich das Interesse an jeglichen Fantasiebüchern verloren, seien es Krimis, Romane, etc. An Technikzeitschriften und Sachbüchern kann ich mich jedoch begeistern.[/quote:8y0hjdt0]
Ist bei mir ähnlich.

[quote:8y0hjdt0]Wie kann ich selber mit Gefühlen umgehen?[/quote:8y0hjdt0]
Entspannt.

[quote:8y0hjdt0]Wie äußern sich die Gefühle in meinem Körper?[/quote:8y0hjdt0]
Durch Schmerzen, oder? Vielleicht ist der Thread „Was sind Gefühle“ im Kapitel „Allgemeines zu Alexithymie“ interessant für dich.

[quote:8y0hjdt0]Wie kann ich lernen die Schmerzen Gefühlen zuzuordnen? Gibt es dafür eine Methode?[/quote:8y0hjdt0]
Genaue Beobachtung und bewusst auf Gefühle achten. In welchen Situationen, an welchen Orten usw. treten welche Schmerzen auf usw.? Warum könnte dir die Situation Schmerzen bereiten? Welche Gefühle könnten dahinter stehen.
Es gibt Feedback-Methoden. Dabei werden bestimmte Reize oder Vorstellungen verursacht, die normalerweise ganze bestimmte Gefühle auslösen.

[quote:8y0hjdt0]Kann man Gefühle von neu lernen, dass man irgendwann wieder wie andere Menschen fühlt?[/quote:8y0hjdt0]
Das kommt auf die genaue Ursache an. Bei einem Trauma im Erwachsenenalter als Ursache gibt es wohl relativ gute Chancen. Wenn z.B. neuronale Strukturen in frühester Kindheit verändert sind, wird das wohl nicht möglich sein.

[quote:8y0hjdt0]Wie kann man am Besten mit anderen Menschen auf Gefühlsebene kommunizieren ohne, dass man je nach Situation körperlich überfordert ist?[/quote:8y0hjdt0]
Kommunikation auf Gefühlsebene – was immer das auch sein soll – möglichst vermeiden. Entsprechende Bücher lesen und Filme ansehen und daraus angemessene Reaktionen ableiten. Darauf achten, wie Andere auf dich reagieren. Abschauen, wie sich andere in emotionalen Situationen verhalten. Das emotionale Normverhalten lernen. Frag Wanda mal nach „Schauspielerei“. ;-)

Grüße

Re: Kann man Gefühle lernen?
03.09.2012 von Schlecki

Moin!
Ich bin der Marcus, bin 38 und lebe in Hamburg.
Bin eher zufällig auf euer Forum gestoßen und dies ist mein erster Beitrag.
Zunächst möchte ich darauf hinweisen, daß ich selbst von Alexithymie [b:2t0gdedy]nicht[/b:2t0gdedy] betroffen bin!
Aber es gab bei mir dennoch schon immer große Schwierigkeiten, auf emotionaler Ebene mit anderen zu kommunizieren.
Meine Partnerin scheine ich seit Jahren zur Verzweiflung zu bringen; sie meint, ich würde auf ihre Gefühle nicht oder nur unzureichend eingehen und ich würde sie garnicht verstehen usw.. Mir ist klar geworden, daß mit mir also irgendetwas nicht stimmt. Tatsache ist, daß man mich bereits im Alter von 8 Jahren zum Psychologen geschickt hat; Lehrer bezeichneten mich als "stark verhaltensgestört" und als "keineswegs gemeinschaftsfähig". Stand zumindest so in einem Gutachten, das erstellt wurde, als ich 10 war. Jahre später fiel mir zufällig das Gutachten wieder in die Hände. Zunächst mal hat mich das unendlich traurig gemacht, sowas über mich zu lesen, aber ich dachte mir, naja, irgendetwas muß ja dran sein.
Ich stellte also Recherchen an.
So stieß ich auf euer Forum.
Der Beitrag von eurofighter hat mich sehr betroffen gemacht; das muß ja sehr schlimm für dich sein, wenn du ständig körperliche Schmerzen verspürst. Ich weiß nicht, ob ich sowas lange aushielte.
Beim Lesen mußte ich an einen Artikel zum Thema Alexithymie denken, der vor ein paar Jahren im "Spiegel" stand.
Demnach scheint ja das Gehirn betroffener Menschen sehr wohl auf Gefühlsäußerungen anderer Menschen zu reagieren, das haben Gehirnscans ergeben. Und du schreibst ja auch, daß bei dir statt Mitgefühl Schmerzen ausgelöst werden. Also können die Gehirne betroffener Personen durchaus emotionale Signale wahrnehmen, nur hapert es irgendwo an der [b:2t0gdedy]korrekten Umsetzung[/b:2t0gdedy], an der [b:2t0gdedy]korrekten Verarbeitung[/b:2t0gdedy] dieser eingehenden Signale. Man vermutet als Ursache einschneidende Kindheitserfahrungen.
Nun kam mir beim Lesen so eine Idee: ich dachte, hmm, wenn sich das Gehirn gewissermaßen "resetten" ließe? Wie einen Computer, der von einem Virus befallen ist oder der abgestürzt ist und das Problem nur durch erneutes Hochfahren behoben werden kann.
Geht beim Gehirn natürlich nicht.
Und daher nun meine Idee: könnte hier vielleicht eine Hypnose helfen?
Hier lesen doch sicherlich auch Fachleute und Ärzte mit; was halten diese davon?
Ich bin nun zwar kein Experte, aber so abwegig finde ich die Idee garnicht, denn man weiß ja inzwischen, wie lernfähig und "formbar" das menschliche Gehirn auch im Erwachsenenalter noch ist.
Mich würde Eure / Ihre Meinung hierzu sehr interessieren.
Liebe Grüße an alle,
Marcus

Re: Kann man Gefühle lernen?
03.09.2012 von Anonym

Hallo,

[quote:2mo18zd7]Beim Lesen mußte ich an einen Artikel zum Thema Alexithymie denken, der vor ein paar Jahren im "Spiegel" stand.
Demnach scheint ja das Gehirn betroffener Menschen sehr wohl auf Gefühlsäußerungen anderer Menschen zu reagieren, das haben Gehirnscans ergeben. Und du schreibst ja auch, daß bei dir statt Mitgefühl Schmerzen ausgelöst werden. Also können die Gehirne betroffener Personen durchaus emotionale Signale wahrnehmen, nur hapert es irgendwo an der korrekten Umsetzung, an der korrekten Verarbeitung dieser eingehenden Signale. Man vermutet als Ursache einschneidende Kindheitserfahrungen.[/quote:2mo18zd7]
Das ist sehr vereinfacht dargestellt und führt deshalb leicht zu Missverständnissen. Meines Wissens hat man z.B. festgestellt, dass die untersuchten Alexithymen andere Reaktionen zeigten, als nicht Alexithyme. Mit der Interpretation von Gehirnscans muss man sehr vorsichtig sein und sie nicht vorschnell verallgemeinern, zumal gerade bei Alexithymie in der Regel nur sehr kleine Gruppen getestet werden. Zu leicht stellt man sonst per Gehirnscan fest, dass tote Fische denken.
Einschneidende Kindheitserfahrungen als Ursache stimmt so auch nicht ganz. Siehe im Forum zu primärer und sekundärer Alexithymie.

[quote:2mo18zd7]hmm, wenn sich das Gehirn gewissermaßen "resetten" ließe? Wie einen Computer, der von einem Virus befallen ist oder der abgestürzt ist und das Problem nur durch erneutes Hochfahren behoben werden kann.[/quote:2mo18zd7]
Ein Reset impliziert, dass der gewünschte Zustand irgendwann einmal vorlag und wieder herstellbar ist. Bei primärer Alexithymie, die organische Ursachen hat oder bei denen die "Gefühlsspiegelung" z.B. durch Eltern nie stattfand, ist ein Reset unmöglich, weil der gewünschte Zustand nie vorlag. Das beschränkt die Idee auf sekundäre Alexithymie, für die tatsächlich zumindest teilweise Traumata, dann aber in jedem Alter, als Ursache vermutet werden.

[quote:2mo18zd7]könnte hier vielleicht eine Hypnose helfen?[/quote:2mo18zd7]
Ob und wie Hypnose wirkt, ist umstritten. Eindeutige wissenschaftliche Belege für eine Wirkung, die über Placeboeffekte, Einbildung etc. hinausgeht, gibt es nicht. Klar scheint, dass Menschen mit großer Phantasie von Hypnose unter Umständen beeinflusst werden können, Menschen mit wenig Phantasie kaum. Menschen, die an Hypnose nicht glauben, scheinen überhaupt nicht hypnotisierbar zu sein.

Da Alexithyme in der Regel eher rational und nicht besonders phantasievoll sind, bin ich sehr skeptisch bzw. kann ich mir nicht vorstellen, dass das funktioniert.

Grüße

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